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Bodybuilding - Entscheidet wirklich die Genetik?

Bodybuilding - Entscheidet wirklich die Genetik?

Von Erik “BamBam” Dreesen

Immer wieder lese ich in der letzten Zeit in Internetforen, daß die Genetik als zentraler Faktor bestimmen soll, wie weit man es im Bodybuilding bringen kann. Meist kommt diese Aussage von Sportlern, die mit ihren Fortschritten nicht zufrieden sind und nun auf der Suche nach den Ursachen für ihren mangelnden Erfolg sind. Oft ist dann die Rede davon, daß das „genetische Limit“ erreicht wurde und dies der Grund dafür ist, daß man einfach nicht weiter kommt.

Andere wiederum kommen auch mit der Selbsteinschätzung daher, daß sie ein „Hardgainer“ seien, der nur schwer Muskelmasse aufbaut. Ich frage mich dann immer, was eigentlich genau mit der Genetik gemeint sein soll und was einen Hardgainer auszeichnet.

Ein effektiver Muskelaufbau hängt von vielen Faktoren ab – hartem und produktivem Training, einer durchdachten und vor allen Dingen ausreichenden Ernährung, fortwährendem Trainingsfleiß, der Disziplin dieses auch durchzuziehen, Konstanz nicht nur für einige Wochen, sondern oft über Jahre. Man könnte diese auch als Willensfaktoren bezeichnen, lassen sie sich doch alle bewusst beeinflussen.

Zusätzlich sind aber ebenfalls andere Punkte maßgeblich beteiligt, die man nicht oder nur wenig beeinflussen kann und die deshalb vielleicht wirklich unter dem Begriff Genetik eingeordnet werden könnten, wie der Körperbau, die Stoffwechselgeschwindigkeit, der Grad der Nahrungsverwertung, das Verhältnis von roten zu weißen Muskelfasern, die Muskelform oder auch die Anzahl und Verteilung der Fettzellen.

Aber was macht einen Hardgainer zum Hardgainer?
Ist es wirklich die Genetik, die ihn am Muskelaufbau hindert? Oder sind vielleicht ganz andere Faktoren entscheidend?

Gerade Anfänger machen sich oft darüber Gedanken, was sie mit ihrer Genetik denn erreichen können. Irgendwie ist das etwas, was ich nie verstehen werde. Das ist genauso, als wenn man sich bei Schuleintritt Gedanken macht, welchen Notendurchschnitt man irgendwann am Ende seines Schülerlebens haben wird.

Wenn ich auf meine fast 20 Jahre im Sport zurückblicke, dann stelle ich fest, daß ich in dieser Zeit eigentlich nur vier oder fünf echte Hardgainer erlebt habe, die trotz aller Mühen und Entbehrungen keine nennenswerte Muskelmasse aufbauen konnten. Prozentual gesehen ist dieser Anteil verschwindend gering und eigentlich nur im Promille-Bereich anzusiedeln.

Bei allen anderen waren keine der obigen genetischen, sondern die Willensfaktoren entscheidend, allen voran die Ernährung. Natürlich gibt es Menschen, die einen schnellen Stoffwechsel haben und evtl. auch schlechte Futterverwerter sind. Aber das bedeutet doch noch lange nicht, daß sie nicht in der Lage sind ein gehöriges Maß an Muskelmasse aufzubauen.

Schauen Sie sich einmal die Profis der Vergangenheit und Gegenwart an. Arnold Schwarzenegger wurde nach 6 Jahren Training Mr. Olympia, er ist ein perfektes Beispiel für eine gute Genetik, genau wie z.B. auch Lee Priest, der mit Anfang 20 bereits seine Profi-Lizenz hatte.

Aber es gab auch Athleten, die genau das Gegenteil dieser Gruppe darstellten. Frank Zane z.B. erfüllte fast alle Punkte, die einen Hardgainer auszeichnen. Trotzdem konnte er 3x die Krone des Mr. Olympia erringen und ist heute noch für viele ein Vorbild an Ästhetik. Tom Platz, der Mann mit der vielleicht beeindruckendsten Beinentwicklung der Bodybuilding-Geschichte war mit Sicherheit beim Knochenbau von seinen Eltern nicht gerade reich beschenkt worden, hatte er doch relativ schmale Schultern und eine breite Taille.

Dennoch glich er dieses Manko aus und schaffte es zu einem Top-Profi seiner Zeit. Günther Schlierkamp hat eine der breitesten Taillen, die ich je auf der Bühne gesehen habe. Heute ist er mehrfacher Finalist des Mr. Olympia.

Auf der anderen Seite gibt es genetische Überflieger, die nie wirklich Ihr Potential ausschöpften, obwohl sie den Sport hätten dominieren können. Man denke nur einmal an Flex Wheeler. Es gibt genug Beispiele für Gen-Wunder, die trotz ihrer herausragenden Veranlagung nie ihr Maximum erreicht haben.

Nur, wenn es ein Hardgainer wie Zane mit seiner schlechten Genetik bis an die Spitze bringen kann, ein anderer mit Top-Genen aber nicht, dann sollte doch auch ein Durchschnittsportler mit noch schlechteren Voraussetzungen zumindest einen Körper erschaffen können, der sich von der breiten Masse abhebt. Spätestens hier sollte einem klar werden, daß es eben nicht die Gene sind, sondern die von einem selbst beeinflussbaren Faktoren.

Letztlich wird der Faktor Genetik deutlich überschätzt. Hart trainieren, gut und reichlich Essen, sowie vor allen Dingen nie aufgeben, das ist das Geheimnis des Erfolgs im Bodybuilding.

Zane wurde nicht deshalb Mr Olympia, weil er sich ständig eingeredet hat, daß er Hardgainer ist und deshalb sowieso nichts aus ihm wird. Schlierkamp hat sicher oft gehört, daß er ein zu breites Becken hat. Seine Antwort waren so breite Schultern, daß man dahinter zwei Kleiderschränke verstecken könnte. Selbst Ronnie Coleman wurde bei seiner ersten Mr.Olympia-Teilnahme in einer Zeitschrift prophezeit, daß er es nie als Profi in obere Gefilde bringen könnte, weil er zu wenig Brustkorbvolumen hätte. Und heute ist er der Gigant, an dem sich alle die Zähne ausbeißen.

Körperliche Schwächen sind ein Grund, genau diese zu bearbeiten und nicht, diese als schlechte Genetik abzutun. Wer dünne Beine hat, der wird vielleicht nie die Haxen eines Tom Platz kriegen, aber er kann sie soweit entwickeln, daß sie trotzdem eine überdurchschnittliche Muskulatur aufweisen. Und wenn es nicht mit dem Training oder der Ernährung funktioniert, welche man aktuell praktiziert, dann muss man hier eben Änderungen vornehmen.
Der Geist beherrscht den Körper, nicht umgekehrt. Das ist es schließlich, worum es im Bodybuilding geht - den Körper nach den eigenen Vorstellungen zu formen.
Vielleicht lassen sich aber auch zu viele von den Bildern der Profis beeinflussen und nehmen diese als Maßstab, mit dem sie sich selbst vergleichen. Dabei wird natürlich vergessen, daß ein Ronnie Coleman über 25 Jahre Training auf dem Buckel hat und eventuell auch mit anderen Hilfsmitteln arbeitet, die man als Hobbysportler eben nicht zur Verfügung hat.

Ein Profisportler kann nie das Vorbild für einen Hobbyathleten sein, zumindest nicht, solange dieser nicht bereit ist denselben Weg zu gehen, jahrelange Entbehrungen auf sich zu nehmen und vielleicht sogar seine Gesundheit auf dem Altar des Sports zu opfern.

Das irrsinnige ist, daß nicht wenige Anfänger in unserem Sport meinen, in kürzester Zeit einen eindrucksvollen Körper wie ein Leistungsbodybuilder aufbauen zu können, dabei aber nur den Einsatz eines Hobbyathleten bringen zu müssen. Zwar nehmen sie sich oft nicht einmal einen Profi als Vorbild, sondern einen Athleten, der vielleicht „nur“ auf dem Niveau einer nationalen Meisterschaft ist. Dennoch werden sie meist nach kurzer Zeit von der Realität eingeholt.

Komischerweise würde niemand auf die Idee kommen, daß er nach 1-2 Jahren Training eine deutsche Meisterschaft im 100m Lauf gewinnen oder über 7,50m springen könnte.

Bodybuilding ist nicht nur ein Sport, es ist eine Lebenseinstellung. Wer dies nicht versteht und nur die 1-2 Stunden im Studio sieht, die er 3x pro Woche zubringt und vielleicht gerade noch hin und wieder einen Proteinshake trinkt, der sollte sich an das Beispiel vom Anfang mit der Schule erinnern. Auch hier sind Sie nicht nach 1 Jahr soweit, daß Sie Abitur machen können. Hierfür benötigen Sie viel länger.

In der Zeit gibt es viele Hausaufgaben die erledigt werden wollen. Sie müssen bereit sein zu lernen und ihr Leben nach der Schule ausrichten. Wenn Sie die Nächte durchmachen, dann können sie am nächsten Tag keine Leistung bringen. Ihr Training ist die Schule, Ihre Hausaufgaben und das Lernen sind die Ernährung, der Faktor Erholung ist bei beiden gleich. Und noch etwas verbindet die Beispiele, die Disziplin. Nur wenn Sie bereit sind tagein und tagaus diese aufzubringen und an ihrem Ziel, ihrem Wunschkörper zu arbeiten, dann werden Sie auch eine Chance bekommen, diesen eines Tages zu erreichen.

Eins habe ich im Laufe der Jahre gelernt: Auch mit schlechter Genetik kann man weiter kommen, als man es sich selbst als Anfänger je geträumt hat. Man muss nur bereit sein, dafür auch alles zu geben.